• Ich und das Bauhaus

Mein Beitrag zur Ausstellung „anlass bauhaus“ 2009 Erfurt
Die Künstler des Bauhauses stellten in meiner Jugend für mich den idealen Vaterersatz dar. Da sie den Ruf hatten, vom Nationalsozialismus Vefolgte zu sein, brauchte ich mich nicht mit ihrer Vergangenheit in der NS-Zeit auseinanderzusetzen, was erleichternd war. Auch die DDR hatte mit der eindeutigen Einordnung der Bauhäusler so ihre Schwierigkeiten, denn obwohl sie sich für sozialen Wohnungsbau einsetzten, waren sie doch auch bürgerlich und dekadent, legten Wert auf die schöpferische Entwicklung des Einzelnen und arbeiteten im Exil für den Klassenfeind. In den Vorlesungen meines Studiums in den 60er Jahren wurde das Thema nur gestreift, ich vertiefte es selbst auch nicht, doch für meine Protesthaltung gegen das sozialistische Establishment waren die Bauhäusler gut geeignet. Ich verehrte sie kritiklos, sie wurden meine Prinzen. In der Realität der 60er Jahre bestand das offizielle Ideal eines Künstlers darin, sich in stinkenden Fabriken umzusehen, sich im Kollektiv und in der Produktion zu bewähren und das in künstlerischen Resultaten sichtbar werden zu lassen. Damals für mich eine grauenvolle Vorstellung, so dass mir das Leben in der Bauhausgemeinschaft paradiesisch erschien. Ich hätte alles darum gegeben, mit den Bauhäuslern zu leben und zu arbeiten. In alle Männer hätte ich mich verliebt, es wäre mir gar nicht aufgefallen, wenn sie mich in die Weberei abgeschoben hätten und vielleicht hätte ich sogar für alle gekocht. Dann kam nach dem Studium das wirkliche Leben, hier und dort und anderswo. Das Bauhaus trat in den Hintergrund, andere Kunstrichtungen wurden mir wichtiger.
Die Ausstellung „anlass bauhaus“ ist DER Anlass dazu, fast verweht geglaubte Spuren zu entdecken und zu sehen, wie die Vorliebe für einen Künstler oder eine Kunstrichtung eng mit der persönlichen Geschichte verwoben sein kann und wie meine Begegnung mit meinen Vätern von damals heute verläuft. (Katalogtext)

1.leonhardt-feijen
Mein durch Umzüge unwiederbringlich zerstörtes rotes Buch widme ich den Ortswechseln der Bauhäusler. Umzugskartons waren auch ihre ständigen Begleiter:
Wie transportierten sie ihre Werke?
Wer trug sie, wer holte sie wo ab?
Wo blieben die zurückgelassenen Werke?
Blieben sie in guten Händen?
Wurden die Papiere manchmal feucht?
Vermissten sie in der Fremde ihre Werke?
Was ging kaputt?
Was wurde vergessen, verloren?
Wo sind alle Arbeiten geblieben?

2.leonhardt-feijen
Die Füße der Bauhäusler
Wanderschaft als Leben
müde Füße
trotzdem Fuß fassen
Füße auf unbekannten Boden setzen und auf ihm wie als Kind nochmal laufen und sprechen lernen in Amerika, in der Schweiz, in Ungarn, England, Frankreich, Mexiko, Kanada, Österreich, Norwegen, Finnland, Japan, der Sowjetunion, den Niederlanden.

3.leonhardt-feijen
 Bei mir gab es keinen Vati, denn der Krieg hatte ihn für sich behalten. Selber suchen konnte ich mir keinen, das hätte Mutti gekonnt, aber sie tat es nicht. Da die Stelle des Vatis in mir immer frei war, bediente ich mich auch bei den Bauhauskünstlern, die ideale Vatis abgaben: Gropius war so elegant, Kandinsky trug eine Fliege zur Strickjacke, wie lässig und gleichzeitig vornehm. Wie gern hätte ich meine Hand auf diesen Strickjackenarm gelegt. Durfte man nicht bei Klees oder Kandinskys sogar bei den Mahlzeiten lesen? Wunderbar, da wollte ich sein.
Als ich sie als Väter erkor, waren sie schon tot, für mich aber lebendig, wie mein Vater für meine Mutter.
Andere schauen sich gemütlich die Alben mit Fotos ihrer Eltern an, erinnern sich, wie sie früher ihre Väter wahrnahmen, wie sie sie heute sehen. Meine Alben sind die Bauhausbildbände mit meinen Vätern von damals. Ich entdecke, dass ich nicht gern im Bauhausstil leben würde, dass ich mich sicher oft mit den Bauhäuslern gestritten hätte, ich entdecke das Leben hinter dem Bild, das ich mir gemacht habe, von diesen Toten, die ich damals NUR bewunderte und heute – ihre und meine Vor- und Nachteile kennend – liebe.

4.leonhardt-feijen
Barock in Rom
Dann bin ich eines Tages in Rom. Entspannt, offen für Entdeckungen. In der Chiesa di Gesue Maria sehe ich Wolkenhaufen wie aus Schlagsahne mit Engeln darin. Der Tod, daneben ein pummliger Engel, der weint. Von der Kuppel in S.Maria de Popolo schaut Gott auf mich herab, umgeben von niedlichen Putten. Die Vielfalt der verarbeiteten Marmorsorten erschlägt mich. Je mehr desto besser scheint die barocke Devise gelautet zu haben.
In der Galleria Borghese passiert es dann: vor „Tre putti dormienti“ Animo, (ein schwarzer Teller mit drei schlafenden Babys!) verliert das Bauhaus seine geschmacksbildende Vorherrschaft über mich (und mit ihm der Meißner Dom und die Predigerkirche in Erfurt – Inbegriff reiner Architektur für mich).
Befreit stürme ich die römischen Kirchen. Je mehr die Architektur durch Farben und Formen gesprengt wird, desto entzückter bin ich: Caduta degli angeli ribelli von Giovanni Odazzi, 1709, die aus dem Rahmen stürzenden rebellischen Engel gesellen sich friedlich in mir an die Seite von Gropius und Klee! Und Andrea Pozzi mit seinen Malereien in der Chiesa di Sant’Ignazio setzt sich ohrenbetäubend über jegliche in mir anwesendende Bauhausregeln hinweg.

5.leonhardt-feijen
Das Vogelnest, der perfekte Bauhausbau aus Material aus der nächsten Umgebung, sozial für alle Schichten,funktionell ohne Ornamente widme ich den Nestbeschmutzern, die Kritik wagen, denn sie sind die wahren Liebenden, sie wollen wissen, wie jemand oder etwas wirklich ist, sind bereit alle Facetten des Wesens sehen. Sie akzeptieren die dunklen Seiten. Sie erlösen uns vom Personenkult, der schwer durchzuhalten ist, vom Anbeten und Angebetetwerden.

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6.leonhardt-feijen
Die Gardine im Zimmer meiner Mutter
Die geschnitzten und gekreuzten Fackeln an den Türen des großen Buffets in meiner Leninstraßenwohnung waren ohne Funktion, also nur ein verbrecherisches Element. Auch all meine folgenden Wohnungen enthielten Möbelnotlösungen in reicher Auswahl. Die Not war, dass sie den Bauhausansprüchen nicht gerecht wurden. Seit meiner Jugend trug ich das Bauhaus als Richtlinie in mir, an der ich meine Umgebung maß und selber immer wieder daran scheiterte.
Ein zeitgenössisches Beispiel ist das Fenster im Zimmer meiner 90jährigen Mutter. Da die Funktion dieses Fensters darin besteht, meine Mutter die Außenwelt wahrnehmen zu lassen, entschied ich mich gegen Scheibengardinen, die diese Funktion zunichte gemacht hätten, obwohl es hier in Deutschland eine Wahnsinnsvielfalt davon gibt. Die Funktion, meine Mutter, wenn es dunkel wird, vor neugierigen Blicken zu schützen, sollten Vorhänge übernehmen. Für mich hätte es ein einfarbiger Stoff getan, aber da ich wusste, meine Mutter möchte mehr, entschied ich mich für Stoff mit einem Druck aus einem barocken fortlaufenden pflanzlichen Ornament, weißgehöht, wie mit der Hand gezogenen Streifen und einem Muster im Stil der All-over-Malerei von Jackson Pollock. Das barocke Element erinnert meine Mutter an ihre Reisen zu französischen Schlössern und die Farbzusammenstellung an sogenannte afrikanische Stoffe, die aber in Holland hergestellt werden, die man dann in China kopiert und aus denen sich die schwarzen Frauen ihre Wickelkleider machen.
Ohne diesen Stoffdruck wäre das Zimmer meiner Mutter nicht so international bevölkert, sondern ziemlich leer.

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7.leonhardt-feijen
Im Alltag sind wir in öfentlichen Gebäuden ständig umgeben von Arrangements wie diesem, das versucht, mit Visuellem Stimmung zu erzeugen. Das Bauhaus schenkte mir dazu das Wort WARUM.
WARUM Troddeln?
WARUM Geflochtenes?
WARUM Kugeln mit Körnern?
WARUM Watte?
WARUM umgestülpte Blumentöpfe?
WARUM glitzernde Fäden?
WARUM Schleifen?
WARUM weißes Gras?
WARUM Schweine mit goldenen Flügeln?