• The holy family from Steinach in Schlotheim

Mein Beitrag zur Ausstellung PROvinz/2013/Erfurt

leonhardt-feijen

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Lange Jahre habe ich in der Provinz (Steinach und Bad Blankenburg) gelebt und mir ALS KIND keine Fragen dazu gestellt. Ab dem 14. Lebensjahr wurde ich dort trotz landschaftlicher Schönheit, die ich sehr wohl bemerkte, einsam. Was ich liebte, musste ich allein lieben, meine Interessen und meine Träume vom Leben träumte niemand mit mir mit, deshalb entwickelte sich die Sehnsucht nach Städten mit vielen Menschen, unter denen ich Gleichgesinnte zu finden hoffte. Diese Hoffnung erfüllte sich.
Jetzt, im Alter lebe ich, die Großstadtliebhaberin, aus rein ökonomischen Gründen wieder in der Provinz. Ich bin nicht mehr die Jugendliche, die nur weg will, sondern gewinne meinen Lebenswelten inzwischen produktive Anregungen ab, so auch der hiesigen Provinz. Wieder gehöre ich nicht dazu, kenne weder die Geschichte der einzelnen Häuser, noch die der Menschen. Umgeben von Bodenständigen bemühe ich mich, das Abheben nicht zu verlernen. Gleichgesinnte und Künstlerfreunde sind weit über ganz Thüringen verteilt, während in meiner unmittelbaren Umgebung die Menschen sehr gut ohne Kunst auskommen.
Meine Arbeit lebt von der Begegnung mit den ANDEREN: was ruft diese Begegnung in mir hervor und in welcher Form verlassen diese Eindrücke als Linien, Zeichnungen, Fotos oder Worte meinen Körper. Virtuell bin ich zwar überall in der Welt unterwegs, mit meinem Körper meistens zwischen Brüssel und Schlotheim, was es mir ermöglicht, Unterschiede zu entdecken, die mir sonst verborgen geblieben wären und die meinen Blick auf das Alltägliche facettenreicher gestalten.
In The HOLY FAMILY from STEINACH in SCHLOTHEIM zeige ich 3 Beobachtungen:
1.
FAMILIE
Familie ist überall auf der Welt wichtig, Metropole hin oder her, aber in kleinen Orten springen die Rolle der Familie und ihre Strukturen ins Auge und Ohr, werden sicht- und fühlbarer als in Großstädten. Wer wann mit wem/ spricht oder verzankt ist/ wen liebt oder nicht/die Sehnsucht nach einer Familie/ die Erleichterung, wenn sie vollständig ist/Vater, Mutter, Kind/ Mann und Frau/Abweichungen von der Norm erfordern Mut.
Steinach, mein Geburtsort, ist seit 1900 für seine Krippenfiguren aus Marolin bekannt, die auch meine Weihnachtsfeste begleiteten bis sie durch Umzüge und Flucht verloren gingen. In Brüssel schaffte ich mir so nach und nach diese Figuren wieder an, die dann Jahr für Jahr auf den belgischen Kaminsimsen standen. Jetzt sind sie mit mir in Schlotheim gelandet. Eigentlich sind die Figuren überladene Sinnbilder, symbolschwer, aber Symbolschweres wird in der Provinz oft, unbedenklich und hemmungslos verwendet.

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 2.
ABGRENZUNG
In Metropolen muss man eine Abgrenzung zum ANDEREN in sich selbst tragen, denn die ANDEREN kommen einem sehr nahe: in Häusern hört man ihre Klospülung, durchs offene Fenster ihren Streit, man riecht ihr Essen oder wird durchs Knarren der Betten aufgeweckt. In Bussen zur Rushour drängen sich fremde Körper an einen, so nah und eng, wie man nicht einmal mit allen Familienmitgliedern ist oder man setzt sich auf einen freien Platz, der noch warm ist vom Unbekannten, der gerade ausstieg.
In der Provinz haben die Menschen viel Platz. Nie berührte ich jemanden in den halbleeren Bussen. Dafür entdeckte ich die vielen verschiedenen Formen der Zäune als Abgrenzung, an denen man die Haltung der Besitzer zur Außenwelt ablesen kann. Die Unterschiede reichen von leichten Stöckchen, die wie ein zarter Zeichenstrich andeuten, wo die Grenze ist bis hin zu tonnenschweren Umzäunungen, die zwar trotzdem leicht von Dieben übersprungen werden könnten, aber durch ihr Gewicht symbolisch drohen.

3.
TEMPO
In Brüssel zeichnete ich die an meinem Fenster hastig Vorübereilenden. In der kurzen Zeit war es mir nur möglich, ein kleines Detail zu erhaschen, schon waren sie weg.
In Schlotheim kommen täglich immer um die gleiche Uhrzeit zwei Personen vorbei, langsam, so dass ich sie in Ruhe ansehen kann: ein Exoffizier mit seiner Promenadenmischung und eine Frau zwischen 40 und 50, schnuckelig könnte man sagen. So langsam, dass ich mir über sie Gedanken machen kann. Ohne es zu ahnen nehmen sie an der Struktur meines Tages teil. Als Dokument dieser Begegnung machte ich folgende Zeichnungen, die nicht unbedingt die Personen abbilden, sondern das, was diese Begegnung mit der Welt (den 2 Passanten) in mir hervorruft. Das Buch lag während der Ausstellung auf einem Sockel und konnte durchgeblättert werden.

Besonders anregend für diese Arbeit fand ich die Figuren des Londoner Künstlers Slinkachu und die Ausstellung von 1994 in der Erfurter Kunsthalle American Water &Thüringer Glas.